Es ist kein Zufall, dass gerade ein Elektronik-Händler wie Media-Saturn flächendeckend elektronische Preisetiketten an seinen Regalen einführt. Denn nach Erkenntnissen des Preisbeobachtungsdienstes Spottster ändern sich die Preise im Internet speziell bei elektronischen Produkten nahezu so schnell wie die Aktienkurse an der Börse. Gerade bei gut vergleichbaren Produkten benötigt der stationäre Handel daher kurzfristige Reaktionsmöglichkeiten auf die Preise im Internet – zumal immer mehr mit Smartphone ausgerüstete Kunden vor Ort im Store aktuelle Preisvergleiche vornehmen.

Spottster arbeitet nach eigenen Angaben mit rund 1.400 Onlinehändlern zusammen und beobachtet allein in Deutschland gut 100 Mio. Preise. Das Unternehmen hat zum Beispiel festgestellt, dass die Produktpreise in der Online-Branche generell zur Wochenmitte am tiefsten und zum Wochenende am höchsten sind. Quer über alle Produktkategorien werden die Preise dort am häufigsten geändert, wo hohe Vergleichbarkeit herrscht. Lediglich in Branchen wie dem Modehandel wird vergleichsweise selten an der Preisschraube gedreht.

US-Händler optimieren die Preise

Allein bei Amazon, so schätzt der Handelsexperte Thomas Täuber von der Unternehmensberatung Accenture, werden täglich 2,5 bis 3 Mio. Preisänderungen vorgenommen. Dies geschieht weitgehend automatisiert per Software. „In den USA gibt es kaum noch große Handelsunternehmen, die nicht systematisch Preisoptimierungstechnologie einsetzen. Im Food-Handel zum Beispiel kämpfen sie so gegen die Preisführerschaft von Walmart“, beobachtet Dr. Michael Feindt, Professor am Karlsruher Institut für Technologie und Gründer von Blue Yonder.

Blue Yonder gehört, neben dem Bonner IT-Dienstleister „tarent solutions“ sowie Revionics, Düsseldorfer Ableger der texanischen Revionics Inc., zu den wenigen Unternehmen, die Software-Pakete zur Preisoptimierung auch auf dem deutschen Markt anbieten. Die Lösungen verarbeiten in externen Rechenzentren einerseits allgemeine Informationen wie demographische Daten, Marktstrukturdaten und Wettbewerber-Preise und andererseits unternehmensinterne Informationen, in erster Linie eigene Bestands- und Abverkaufsdaten. Diese Prozesse geschehen nach individuell definierten Regeln, die u.a. händlerspezifische Kalkulationsziele, Rundungsvorgaben, Preisuntergrenzen oder Preisabstände innerhalb des Sortiments, zum Beispiel Eigenmarke zu Herstellermarke, berücksichtigen. Unter dem Strich stehen permanent optimierte Preisvorschläge, die in das E-Shop-System eingespeist werden können.

Geschäftsgeheimnis

Amazon und die meisten anderen Händler behandeln ihre Dynamic-Pricing-Strategie als Geschäftsgeheimnis. „Das Thema ist sehr sensibel, allerdings muss man sagen: Speziell in Europa sind die meisten Händler auch noch in der sehr frühen Findungsphase“, sagt Florian Strecker, Regional Sales Director bei Revionics. Er verweist auf rund 10 Revionics-Handelskunden in Europa, darunter die Dixy Group in Russland, Argos in UK und Metro Cash & Carry in Italien.

Auch Blue Yonder darf nicht öffentlich vermelden, mit welchen Händlern man in Geschäftsbeziehungen steht – von einer Ausnahme abgesehen: In Deutschland hat die Otto Group im vergangenen Jahr einen Test im Bereich Online-Herrenmode gefahren. Eingebunden waren 150.000 Einzelprodukte, das Blue Yonder-System hat rund 50.000 Preisänderungen pro Tag generiert. Nach Angaben von Blue Yonder-Chef Michael Feindt konnte im Projektzeitraum (gemessen in A/B-Tests) der Absatz in der Kategorie um 10 Prozent, der Umsatz um 6 Prozent und der Rohgewinn ebenfalls um 6 Prozent gesteigert werden.

„Von den 4 P des Marketing ist der Preis der dynamischste, leider aber auch der von den Unternehmen am wenigsten genutzte Hebel, der zur Verfügung steht“, bedauert Feindt. Auch vor dem Hintergrund des Otto-Projekts verspricht er dem Handel einen auf wenige Monate begrenzten Return on Invest, zumal für den Händler keine Hard- und Software-Kosten anfallen.

In stationären Geschäften ist Dynamic Pricing ernsthaft nur realisierbar, wenn von der teuren manuellen auf eine flexible elektronische Regal-Preisauszeichnung umgestellt wird. Dann lassen sich Preise „auf Knopfdruck“ ändern. Neben dem Elektronik-Bereich geschieht dies aktuell zunehmend im Lebensmittelhandel. Die Rewe Group zum Beispiel stattet neu errichtete Märkte generell mit elektronischen Etiketten aus. Kaufland, Netto und Penny testen in einigen Filialen. Für die deutschen Food-Händler geht es dabei, im Gegensatz zu ihren US-Kollegen, vorerst weniger um Reaktionen auf die Preise der (Online-)Konkurrenz, sondern um eine bessere Steuerung des Frischwaren-Absatzes und damit um die Minimierung von Abschriften.  

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Mehr Dynamik akzeptieren

Die Kunden werden sich an häufigere Preisänderungen gewöhnen, glaubt Florian Strecker, Regional Sales Director bei Revionics.

Welche Daten benötigen Sie vom Händler, um die automatisierte Preisoptimierung ans Laufen zu bringen?

Wir benötigen wöchentliche Abverkaufsdaten, idealerweise mit einer Historie von zwei Jahren zu Beginn der Umsetzung. Um wettbewerbsorientierte Preisstrategien umzusetzen, sind daneben die Preisdaten der Mitbewerber wichtig, sowohl stationär wie online. Neben diesen Transaktionsdaten benötigen wir noch einige Stammdaten, etwa zur Produkthierarchie und zur Filialstruktur.

Wie reagieren die Verbraucher auf ständige Preisänderungen?

Im Onlinehandel ist es für den Kunden ganz normal, dynamische Preise zu akzeptieren, Amazon hat den Kunden hier bereits „erzogen“. Im stationären Handel zeigen sich die meisten Händler noch zurückhaltend. Die Mehrheit unserer Handelskunden ändert die Preise nicht öfter als einmal täglich bis wöchentlich. Ich denke, langfristig wird der Kunde auch im stationären Handel mehr Dynamik akzeptieren und sogar fordern.