Eine Kultur der Kooperation | stores+shops

Anzeige
{{{name}}}

Vorgeschlagene Beiträge

Anzeige

Foto: istockphoto / akindo

Eine Kultur der Kooperation

Was ist eine robuste Lieferkette? Wie sorgt man für stets volle Regale, wirkt dem Schwund entlang der Lieferkette entgegen, und wie federt man mögliche Störfälle ab? Dr. Ulrich Franke, Leiter des Institute for Supply Chain Security aus Dortmund, erläutert im Interview das Konzept der Resilienz für die Logistik des Handels.

Herr Franke, heutzutage sind praktisch alle Geschäftsprozesse hocheffizient und komplex organisiert – und damit störanfällig für unvorhergesehene Ereignisse. Ist es möglich, sich auch auf das Unvorhergesehene einstellen zu können?

Ja, das funktioniert nachweisbar beispielsweise beim Katastrophenschutz der Länder. Es gibt eine Reihe von bekannten Risiken, die beherrschbar sind. Daneben gibt es latent weitere Bedrohungen, die sogenannten Black Swans, die eher außerhalb des gängigen Vorstellungsvermögens liegen. Um sich diesen anzunähern, werden durch fiktive Szenarien Krisen und Katastrophen so simuliert, dass sich darauf basierend Notfallpläne (Business Continuity-Pläne) zur Fortführung des Betriebes erstellen lassen. Tritt dann ein unerwartetes Ereignis ein, sind bereits viele notwendige Schritte definiert, sodass das Krisenmanagement nicht beim Nullpunkt anfängt.

Was bedeutet das beispielsweise für die Lieferkette? Wie kann man Puffer für den Krisenfall schaffen, aber zu große Warenbestände vermeiden?

Hierfür wurde in anderen Branchen, etwa der Automobilindustrie, bereits eine Reihe von Methoden entwickelt – es lohnt sich, einfach mal über den Tellerrand zu schauen. Beispielsweise hat es sich als sinnvoll herausgestellt, in kooperativer Zusammenarbeit mit Herstellern gemeinsam Notfallpläne zu entwickeln. Ein einfaches Beispiel: Durch einen Streik in einem asiatischen Hafen liegt Ware für das Weihnachtgeschäft fest. Für dieses unkalkulierbare Ereignis könnte, aufgrund eines vorab erstellten Szenarios, vertraglich vereinbart werden, dass der Hersteller in Sonderschichten Ware nachproduziert und diese per Luftfracht wöchentlich verschickt, bis die Container mit der georderten Ware im Zielhafen ankommen.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die „ECR Shrink & OSA Expert Group“?

Die „ECR Shrink & On-shelf Availability Group“ arbeitet seit 15 Jahren daran, den Themenkomplex „Reduzierung von Verlusten – Unterbrechungen von Lieferketten, die zu leeren Regalen im Einzelhandel führen“ aufzubereiten. Denn, wie sieht es im Normalfall aus? Damit die Regalverfügbarkeit hoch bleibt, werden teilweise vollkommen überdimensionierte Lagerbestände entlang der gesamten Lieferkette aufgebaut. Die „ECR Shrink & On-shelf Availability Group“ hat eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführt und unter anderem auch Methoden entwickelt, die es ermöglichen, Verluste entlang der Supply Chain zu minimieren.

Wie können Unternehmen eine notwendige Priorisierung vornehmen, an welchen Risiken sie zuerst arbeiten müssen?

Zu diesem Zweck steht ein „Supply Chain Risk- and Resilience Assessment“ zur Verfügung. Zur Analyse und Priorisierung von Risiken und Fehlern bietet sich die sogenannte FMEA an. Diese Analyse ist auch ein fester Bestandteil der „ECR Shrinkage Road Map“. Die Widerstandsfähigkeit, also Resilienz eines Unternehmens in Bezug auf bekannte und insbesondere unbekannte Risiken lässt sich hier durch einen Fragebogen und individuelle Interviews mit den Verantwortlichen analysieren. Diese beiden Analysen bilden die Basis für einen strategischen Änderungsprozess hin zu einer schlanken sowie resilienten durchgängigen Lieferkette.

Können Sie die ersten Schritte benennen, die unternommen werden müssen?

Die Schaffung von Transparenz entlang der gesamten Lieferkette ist hier von hoher Relevanz – und zwar in beide Richtungen, also vom POS zum Hersteller sowie umgekehrt. Dies bedeutet unter anderem, dass überall dort, wo Ware transportiert und infolgedessen auch manipuliert werden kann, die jeweils verantwortlichen Partner „zählen, messen und wiegen“ müssen. Wie und in welchem Umfang in Handels-/Herstellerlieferketten sich jeweils ein entsprechendes Modell umsetzen lässt, ist von einer Reihe individueller Faktoren abhängig – dabei spielt jedoch nicht in erster Linie die Technik eine Rolle, sondern eher organisatorische Komponenten.

Die Fortsetzung des Interviews folgt nach der Erläuterung des Resilienz-Begriffs.

Was bedeutet Resilienz für den Handel?

Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems, nach einem plötzlich eingetretenen Störfall wieder in den gewünschten bzw. den Originalzustand zurückkehren zu können. Das Konzept der Resilienz im Handel fordert und fördert die gesamte System-Perspektive, lässt ausdrücklich Lieferkettenunterbrechung zu und umfasst die Fähigkeit, sich wechselnden Bedingungen anzupassen. Wichtiger Faktor ist ein Supply Chain Continuity Management.

Herr Franke, wie können Anreize geschaffen werden, damit alle Beteiligten der Wertschöpfungskette in dieselbe Richtung agieren und so die Resilienz unterstützen?

Dies lässt sich nur durch Aufklärung erreichen. Alle Mitarbeiter müssen von der Sinnhaftigkeit überzeugt und Teil der Prozesse werden, denn ein Unternehmen ist ein lebender Organismus – wenn ein Organ, sprich eine Unternehmensfunktion außen vor bleibt oder sogar als unwichtig klassifiziert wird, dann kann dies zu Schäden führen. Ich will damit sagen, dass Fakten wie Diebstahl, Inventurdifferenzen oder zu hohe Lagerbestände nicht das Problem einer Filiale oder Abteilung sind, sondern immer des gesamten Unternehmens. Für Handelsunternehmen ist es zunehmend essenziell, eine Kultur der Kooperation zu schaffen, sodass die jahrelang errichteten „Silos“ verschwinden. Statt interner Machtkämpfe sollte eine kooperative Zusammenarbeit von Handel, Logistikern und Herstellern angestrebt werden, damit letztendlich insgesamt Win-Win-Situationen entstehen.

Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter dahingehend motivieren?

Ein Beispiel: Aufgrund des vergleichsweise hohen Umsatzes im vierten Quartal unterlaufen den Mitarbeitern in diesem Zeitraum eher Fehler, weil sie überfordert sind – alles in allem eine gute Voraussetzung für Ladendiebe. Aber die gute Nachricht ist: Unternehmen können einiges dafür tun, damit ihre Mitarbeiter diese harte, aber extrem wichtige Zeit gut motiviert durchstehen. So bietet es sich an, im Herbst Anti-Diebstahlschulungen für Mitarbeiter durchzuführen, in denen sie lernen, welche Verhaltensweise in welcher Situation die bestmögliche ist. Dadurch demonstriert die Unternehmensleitung Fürsorge, was die Mitarbeiter wahrscheinlich eher dazu ermutigt, einzuschreiten anstatt wegzuschauen. Hierdurch ist die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens an einem ganz essenziellen Punkt gestärkt.

Das Interview führte Ursula Coester.

Foto: istockphoto / akindo

Weitere Informationen: www.supply-chain-security.org , www.ecr-shrink-group.com , de.wikipedia.org/wiki/FMEA

Medium Rectangle Technology 1

Anzeige

Produkt-News